Heute kann jeder einen Pflegedienst eröffnen

Ob Pflegedienstleiter, Makler oder Anlageberater – sie alle brauchen keinerlei Kenntnisse, um sich selbstständig zu machen. Wohl aber die Dame, die in ihrem Laden Blumen verkauft – sie nämlich braucht den Meisterbrief.

Aus dieser Aussage lässt sich leicht erkennen, dass das Problem von allen Seiten angepackt werden muss, denn es geht ausschließlich um die Würde vieler alter und pflegebedürftiger Menschen.

So wird z.B. in der Publikumspresse immer wieder das gewalttätige Übergreifen in Altenheimen zum Thema gemacht. Die Täter kommen hierbei aus den Reihen des Pflegepersonals, die Opfer sind die Heimbewohner.

Es mag zwar zutreffen, dass hier und da gewalttätige Angriffe gegenüber den Pflegepersonen erfolgen. Dies darf nicht verleugnet werden. Andererseits machen viele Vorfälle aber auch deutlich, wie Patientenangriffe, Aggression und Gewalt fließend ineinander übergehen.

Gewalt darf nicht totgeschwiegen oder verharmlost werden, dennoch sollte man sich durchaus auch einmal überlegen, warum es überhaupt zu Gewalt kommt und wie gewalttätige Übergriffe möglichst schon im Vorfeld ihrer Entstehung verhindert werden können.

Was viele jetzt erstaunen mag: Nicht die Psychiatrie hat das höchste Gewaltpotenzial zu verzeichnen, sondern Altenheime und Behinderteneinrichtungen. Selbst in der Jugendhilfe kommen Übergriffe nur halb so oft vor wie in Alten- und Pflegeheimen. Am seltensten finden sie in der Psychiatrie und in den Krankenhäusern statt. Von daher dürfen Aggression und Gewalt niemals nur als einseitiges Problem angesehen werden.

Aggression und Gewalt ist ein zwischenmenschliches Phänomen, Gewalt erzeugt Gegengewalt, eine aggressive Haltung und das überhebliche Demonstrieren von Macht erzeugt ein feindseliges, explosives Klima, in dem es schnell zu gewalttätigen Übergriffen kommt.

Hierbei reicht das Spektrum körperlicher Gewalt von schubsen, schlagen, treten, zerren, sexuellen Übergriffen bis hin zum Einsatz von Werkzeugen und Gegenständen. Schon allein die Hausordnung in vielen Pflegeheimen entmachtet und entmündigt die Bewohner mit der Folge, dass diese hierauf wieder mit Frustration und Aggression antworten.

Verhaltensveränderungen

Andererseits führen auch bestimmte neurologische und psychiatrische Erkrankungen in Verbindung mit einer Reihe von Substanzen und Medikamenten zu einer Verhaltensveränderung. Hierzu gehören bspw. Phencyclidin, Sedavita und Amphetamine.

Auch ist bei bestimmten Erkrankungen die Hirn-Steuerungsfunktion eingeschränkt. Dies trifft z.B. zu bei M. Alzheimer, Morbus Pick, Chorea Huntington, Multi-Infarkt-Demenz, Epilepsie oder Schlaganfällen. Die Folge: Aggressive Handlungen treten urplötzlich, völlig ungerichtet und vor allem unberechenbar auf.

Geht man vom Pflegepersonal selbst aus, so ist gerade das Verhalten des Pflegepersonals untereinander und gegenüber dem Patienten entscheidend. Denn gerade aggressives Verhalten des Pflegepersonals als Antwort auf aggressives Verhalten der Patienten untereinander wirkt „vorbildlich“.

Was bedeutet: Die Pflegebedürftigen lernen schnell durch „Nachahmung“. Pflegepersonal muss von daher so ausgebildet sein und werden, dass es die eigenen Gefühle zwar reflektiert, aber nicht unterdrückt. Vielmehr muss gelernt werden, sie unter Kontrolle zu behalten.

Denn Gewaltvermeidung bedeutet immer Kommunikation, Patientenbeobachtung und Reflexion des eigenen Verhaltens. Es muss ein ständiger Austausch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern sowie der Mitarbeiter untereinander stattfinden.

Auch bei Schichtübergaben darf es zu keinem Informationsverlust kommen. Kommt es trotz dieser Maßnahme zu einem Übergriff, dann muss den betreffenden Personen ein einfühlsamer, kollegialer Gesprächspartner zur Seite stehen, um die psychische Belastung zu bewältigen und ein Trauma zu vermeiden.

In vielen Fällen ist es sogar empfehlenswert, einen neutralen, externen Supervisor hinzuzuziehen. Diese Personen sind nicht nur besonders geschult, sondern sind meist auch in der Lage, Konflikte in einem Team aufzudecken.

Auf diese Weise lassen sich Schwachstellen zwischen dem Pflegepersonal und den Pflegebedürftigen früher aufspüren. Vor allem aber darf das Management – d.h. die Alten- und Pflegeheimleiter – die Augen vor aggressivem Verhalten im Betrieb nicht verschließen.

Gewalt kann nur verhindert werden, wenn innerhalb des Betriebs auch eine funktionierende Kommunikation vorherrscht. Diese muss allerdings auch Raum und Atmosphäre für die Auseinandersetzung einerseits sowie Raum für die Emotionen der Mitarbeiter andererseits bieten.

Das Pflegepersonal hat die Aufgabe, sich mit den Patienten zu solidarisieren

Nicht nur aus purem Eigennutz macht sich das Pflegepersonal im Gesundheits- und Pflegebereich mehr und mehr Sorgen um die Behandlungsqualität in den Alten- und Pflegeheimen.

Vor allem die Sparmaßnahmen und deren Auswirkungen auf die Behandlungs- und Arbeitsplatzqualität zeigen deutlich den derzeitigen Stand im Gesundheits- und Pflegebereich. So können bei der Patientenbetreuung das professionelle Handeln und die Sicherheit nicht mehr im erforderlichen Maße gewährleistet werden.

Und wer heute glaubt, das Thema Pflege gehe etwa nur alte Menschen etwas an, der irrt gewaltig. Vielmehr kommt das Thema Pflege auf die jungen Generationen mit einer Wucht zu, deren Ausmaß sich derzeit nur schätzen lässt.

2,48 Millionen Menschen sind bereits heute in Deutschland pflegebedürftig. Angesichts der steigenden Lebenserwartung werden es Jahr für Jahr mehr. Bis zum Jahr 2050 werden nach Prognosen von Experten mehr als vier Millionen Menschen auf Pflege angewiesen sein. Gleichzeitig fehlt auf der anderen Seite der Nachwuchs, der diese alten Menschen betreuen kann.

Personalmangel und gestraffte Dienstpläne

Wegen Personalmangel und gestrafften Dienstplänen können den Pflegebedürftigen die erforderliche individuelle Pflege und die nötige Zuwendung nicht mehr in der geforderten Qualität geboten werden.

Der augenfällige Qualitätsabbau und der erhöhte Druck am Arbeitsplatz führen beim Personal vermehrt zu Stress und Unzufriedenheit. Das Personal fühlt sich nicht ernst genommen und sorgt sich – auch um die eigene Gesundheit. Viele fürchten sich vor einem Burn-out-Syndrom und steigen aus ihrem angestammten Beruf aus.

Zukunftsängste sind verbreitet und das Pflegepersonal befürchtet, dass sich die Situation noch weiter zuspitzen wird. Von daher müssen auch die Rahmenbedingungen für die professionelle pflegerische Betreuung zu Hause erarbeitet und Initiativen für eine mobile Pflege gesetzt werden, um eine „freiberufliche Tätigkeit“ attraktiv und lohnenswert zu machen.

Existenzsicherung bedeutet für viele Berufsaussteiger mit Sicherheit, wieder in die Gesundheits- und Krankenpflege einzusteigen.

Auch die „Billigpflege“ durch ausländische Hilfskräfte, deren Ausbildung nicht überprüft und deshalb äußerst fragwürdig ist, ist nicht die Lösung. Denn illegale Praktiken werden deshalb nicht legal, weil sich die Pflegeempfänger die offiziellen Pflegeanbieter im benötigten Ausmaß nicht mehr leisten können.

Vielmehr scheint die Politik mehrfach gefordert zu sein: Unterbinden von Schwarzarbeit, Unterbinden von Gesundheits- und Krankenpflege gegen Entgelt durch nicht autorisierte Personen, Entwicklung von Qualitätskontrollen für alle Pflegeanbieter.

Denn es ist nicht mehr als ein schlichter Satz, der in den gemeinsamen Grundsätzen und Maßstäben zur Qualitätssicherung steht:

Die Pflegeeinrichtung hat eine geeignete Pflegedokumentation sachgerecht und kontinuierlich zu führen, aus der heraus das Leistungsgeschehen und der Pflegeprozess abzuleiten sind.“ Richtig eingesetzt, sorgt sie für die nötige Transparenz, für den Qualitäts- und Abrechnungsmaßstab und dient auch dem Schutz in Haftungsfragen.

Allerdings muss diese Pflegedokumentation auch richtig eingesetzt werden, denn häufig wird weit über das notwendige Maß hinaus dokumentiert. In jeder Einrichtung gibt es nämlich so genannte Standards für häufig wiederkehrende Pflegesituationen.

Hier reicht durchaus ein Verweis auf individuelle Abweichungen. Des Weiteren dürfen einzelne Verrichtungen in der Pflegeplanung nicht zu oft und zu ausführlich beschrieben werden.

So werden beispielsweise die grundpflegerischen Leistungen wie bspw. Kämmen und Zahnpflege häufig noch einzeln dokumentiert und zusätzlich noch einmal in ein gesondertes Berichtsblatt übernommen, obwohl diese Verrichtungen bereits in der Pflegeplanung bzw. den Standards beschrieben wurden.

Auf diese Weise wird ein und dieselbe Leistung in der Dokumentation gleich vier Mal benannt – und oftmals auch noch abgerechnet.

Von daher müssen dringend die strukturellen Bedingungen in der stationären Pflege überprüft und den Realitäten angepasst werden. Es muss ein Konsens über die pflegerische Leistungsqualität und die dafür notwendige Personal-ausstattung erzielt werden.

Denn Prävention und Rehabilitation gehen vor Pflege. Hierzu muss allerdings die bisherige Aufteilung in Geld- und Sachleistung aufgegeben werden zugunsten des grundsätzlichen Geldleistungsprinzips. Eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung des Pflegerisikos kann stattdessen nur durch Steuer finanzierte Zuschüsse an die gesetzliche Pflegeversicherung gelöst werden.

Dringende Forderungen für Organisation und Verantwortung, auch gegen die Bürokratie:

  • Vorgabe einer einvernehmlichen Empfehlung für die Pflegedokumentation. Gesetze und Verordnungen erfüllen diese Aufgabe jedoch nicht, sondern erhöhen eher den bürokratischen Aufwand.
  • Umsetzung durch Kassen, Einrichtung und MDK. Zudem muss den Menschen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ein Lotsen-System in die Hand gegeben werden.
  • Keine Gefährdung der erforderlichen Individualität, Ablehnung einer zusätzlichen Finanzierung über eine steuerbegünstigte private Vorsorgekomponente, Aufgabe der Teilung in Geld- und Sachleistung zugunsten eines Geldleistungsprinzips.
  • Richtige Organisationsstrukturen sowie die Schaffung eines Konsenses über Leistungsqualität und Personalausstattung.
  • Klare Verantwortungsregeln, Einbeziehung der psychosozialen Betreuung in den Leistungskatalog.
  • Das Verständnis, dass eine Pflegedokumentation nicht verwechselt wird mit einem Nachweisdokument, sondern lediglich der Qualitäts-sicherung dient.
  • Auflösung der gesetzlich verordneten Bürokratie, denn diese nimmt lediglich wertvolle Arbeitszeit in Anspruch, die dringend wo anders benötigt wird.
  • Entschärfung der zahlreich verordneten statistischen Aufgaben, Meldeverfahren etc.

Fehlende Erkenntnis

Würde man all diese Punkte beherzigen, käme man sehr schnell zu der Erkenntnis, dass man an die 85.000 (!) Verwaltungsvorschriften streichen könnte. Denn Pflegebedürftigkeit wird zusehends zur Reise in die Bürokratie – auf Kosten der Pflegebedürftigen, auf Kosten wertvoller Arbeitszeit.

Gleiches gilt für die §§ 7 Abs. 3 und 4 sowie 29 bis 33 der Heimmitwirkungsverordnung. Sie führen lediglich zu einem erhöhten Aufwand für die Pflegefachkräfte, ohne aber den Bewohnern ein tatsächliches Mitentscheidungsrecht einzuräumen.

Unnötige neue Vorschriften belasten die ohnehin umfangreichen Pflegesatz-verhandlungen, sie verwirren die Angehörigen von Pflegebedürftigen und verlängern die Zeit ins Heim unnötig lang.

So gilt zum Beispiel die Heimverordnung, weshalb jeder Heimbeirat über alles unterrichtet und hierzu auch sein o. k. geben muss. Andererseits hat der Heimbeirat keine Rechte diesbezüglich, irgendwelche Maßnahmen zu verhindern oder durchzusetzen. Ein Aufwand, der schlichtweg ins Nichts führt.

Vielmehr wissen die Betroffenen am besten, was sie brauchen, deshalb darf über diese Personen nicht mehr weiter verfügt werden. So braucht der eine einen Helfer, der ihn im Rollstuhl in einen Park bringt, andere wiederum benötigen verstärkt Hilfe bei der Körperpflege.

Andererseits werden die Anbieter ambulanter Dienste durch diese Wahlmöglichkeiten ihrer „Kunden“ in verstärkten Konkurrenzsituationen gezwungen, ihre Qualität zu verdeutlichen.

Pflege im ursprünglichen Sinne ist nämlich die selbstständige Tätigkeit, die ihren „Auftrag“ vom Bedürfnis des Betroffenen abhängig macht. Der Auftrag selbst ist als ganzheitlicher Gesundheitsbegriff zu werten, der von einer Wiederherstellung der Selbstpflegefähigkeit des Einzelnen ausgeht.

Somit stellt die Pflegediagnose nicht nur die Ermittlung des Grades der Abhängigkeit bzw. der Selbstständigkeit des Patienten dar, sondern auch die Einschätzung nach Kriterien der Funktionsfähigkeit bzw. Behinderung.

 

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