Krank durch Pflege: Stumpfe Waffen

Rückenleiden, hoher Zeitdruck und emotionale Erschöpfung trüben die Arbeitsfreude vieler Beschäftigten in der Kranken- und Altenpflege. Pflegekräfte werden zu Einzelkämpfern. Und so stellt sich durchaus die berechtigte Frage: „Lebendig begraben? – Wie gehen wir mit unseren Alten um?“

Während bislang die Trägerseite, die Ärztekammern und die Kostenträger mit Selbstverständnis Verhandlungspartner im „Verteilungskampf“ sind und damit das Maß von Qualität in der Pflege definieren bzw. rationieren, werden die Pflegenden ausgebremst, sozial Benachteiligte finden kein Gehör.

Die Auswirkungen macht nicht nur das Gesundheitsmodernisierungsgesetz deutlich: Bei Erwachsenen führt Krankheit in verstärktem Maße zu Armut und bei Kindern führt die Armut in ihrem späteren Leben zu Krankheit.

Immer mehr trifft heute die Aussage zu: „Arm im Beutel, krank im Herzen.“ Der Herzinfarkt ist schon längst keine Folge der Wohlstandsgesellschaft mehr, sie trifft vielmehr immer mehr Arme in ihrem Existenzkampf.

Die neue Gesundheitsreform stellt in diesem Sinne daher nicht nur eine weitere Verschlechterung der Gesundheitssituation sozial benachteiligter Menschen, sie stellt auch eine zusätzliche Benachteiligung älterer, pflegebedürftiger Menschen dar.

Auch die Senkung der Sozialhilfe wird dazu führen, dass immer weniger Betroffene zum Arzt gehen. Künftig werden Ärzte nicht mehr warten müssen, bis der Patient zu ihnen kommt, vielmehr werden die Ärzte zu den Betroffenen selber kommen müssen: in Wohnungen, in Parks, in Tiefgaragen.

Dorthin, wo Menschen aus Armut zusammengebrochen sind. Somit wird das Gesundheits- bzw. Krankheitsrisiko steigen, da Betroffene spät – zu spät – zum Arzt gebracht werden und dadurch Diagnostik und Behandlung oft erst verzögert eingesetzt werden können.

Wir werden in Zukunft nicht nur den Sozialstatus am Zahnstatus ablesen können, wir müssen auch – statt Brillen für Bangladesch – für Brillen für unsere Pflegebedürftigen sammeln. Die Schwachen werden künftig niemanden haben, der sie stark macht.

Denn was passiert bspw. mit der Chemotherapie eines an Krebs Erkrankten, der für die Fahrten zur und nach der Behandlung auf ein Taxi angewiesen ist? Die Fahrtkosten hierfür werden nicht mehr erstattet. Was passiert mit den ganzen Mutter- und Reha-Kuren? Denn diese werden überproportional von allein Erziehenden in Anspruch genommen.

Essen, waschen, Ruhe geben

Immer mehr Pflegebedürftige werden in Alten- und Pflegeheimen gefüttert, obwohl sie selbst dazu noch in der Lage wären. Nur damit es schneller geht. Man lässt sie nicht auf die Toilette, wenn sie müssen, und man weckt sie, wenn sie schlafen wollen.

Man stopft sie mit Medikamenten voll, damit sie Ruhe geben. Warum nimmt sich die Politik kein Beispiel an dem harten Job der Pflegefachkräfte? Sie sprechen lieber von „kleinen, alltagsüblichen“ Menschenrechtsverletzungen.

Jeder Pfleger sieht in einem Pflegebedürftigen die kleinen Erfolgserlebnisse, das Lächeln eines alten Menschen, einen dankbaren Händedruck. All das zeigt ihnen, wie wichtig ihr Job ist und dass es sich lohnt – trotz alledem.

Jedes Jahr müssen ungefähr 15.000 pflegebedürftige alte Menschen zusätzlich einen Platz in einem Heim finden und versorgt werden – bei bestenfalls gleichbleibenden Ressourcen. Damit wächst nicht nur der Druck auf die Pfleger, es sinkt auch die Qualität der Pflege mit der Folge, dass hieran rund 10.000 (!) Menschen jährlich sterben.

Sicherheitsstufe in Alten- und Pflegeheimen

Auch fehlt es der Altenpflege insofern an Attraktivität, da die Arbeit selbst immer mehr durch physische und psychische Belastungen einschließlich ungünstiger Arbeitszeiten wie Schichtdienste, Nacht- und Wochenenddienstarbeit geprägt ist.

Dies führt bei den Pflegenden zu hohen Fehlzeiten und erheblicher Personalfluktuation in den Einrichtungen. Vorteile bieten hier innovative Arbeitszeitmodelle sowie verbesserte betriebliche Organisations- und Kommunikationsplattformen.

Hieran müssen aber alle arbeiten: Einrichtungen, Verbände, Pflegekassen, Sozialhilfeträger sowie die Politik. Altenpflege darf nicht länger als ein Feld betrachtet werden, in dem auch nicht ausgebildetes Personal, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sowie ausländische Mitbürger als Billigkräfte eingesetzt werden.

Denn dadurch werden die Probleme weder dauerhaft noch ansatzweise gelöst. Da die Pflege auch entscheidend durch Kommunikation bestimmt ist und davon lebt, darf man bei ausländischen Pflegekräften auch die Sprachkompetenz nicht außer Acht lassen.

Stattdessen aber wird das vorhandene Pflegepersonal durch unattraktive Arbeitsbedingungen in der Pflege über Gebühr strapaziert, so dass letztlich physische wie psychische Erschöpfung bis hin zum Burn-out-Syndrom zu einem immer größeren Rückgang aus diesem Verantwortungsbereich führt.

Zudem werden die Anforderungen an die Pflegenden, insbesondere die der ambulanten Pflege, aufgrund der kürzeren Verweildauern in den Krankenhäusern zusehends steigen.

Im Gegenzug gelingt es aber immer seltener, mit den Krankenkassen eine vernünftige und leistungsgerechte Vergütung auszuhandeln. Mit Hilfe ihrer marktbeherrschenden Stellung setzen die Krankenkassen die ambulanten Pflegedienste nicht nur in den Leistungs- und Vergütungsverhandlungen unter Druck, sie weigern sich zudem, bestimmte Leistungen wie bspw. Prophylaxemaßnahmen zu erbringen.

So werden bspw. Prophylaxemaßnahmen gegen Druckgeschwüre von den Krankenkassen in der häuslichen Krankenpflege erst dann übernommen, wenn der Patient sich bereits wundgelegen hat bzw. eine offene Wunde vorhanden ist.

Bestes Beispiel hierfür war in der Vergangenheit die BKK in Hamburg, deren schlechte Praxis über Monate durch die Presse ging. Trotz gerichtlicher Zwischenentscheidungen lässt sich die BKK Hamburg beeinflussen. Sie führt ihre gestörte Verhandlungsqualität zu Lasten der auf die häusliche Krankenpflege angewiesenen kranken Menschen weiter.

Stattdessen nehmen die Kontrollinstrumentarien und die Überprüfung der Einrichtungen zwar immer mehr zu – allerdings ohne dass erkennbar wird, dass die Rechte der Pflegebedürftigen gestärkt werden. Das Gegenteil – nämlich ausschließlich höherer Verwaltungsaufwand – ist der Fall.

Andererseits werden die Rahmenbedingungen wieder dem „Markt“ überlassen, ohne den pflegebedürftigen Menschen daran zu beteiligen. Denn geht es um die Kriterienbestimmung menschenwürdiger Versorgung, dann haben Pflegebedürftige wahrlich kein Mitbestimmungsrecht. Sie allein dürfen nur eines: zahlen, zahlen und nochmals zahlen…

„Mord auf Staatskosten“ – weil eine umfassende Pflege nicht mehr möglich ist

Rund zwei Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit auf Pflege angewiesen. Fast ein Drittel davon wird in einem der 9.400 Pflegeheime betreut.

Nach Schätzungen des Sozialverbandes Deutschland sterben bundesweit in den Pflegeheimen etwa 10.000 Menschen auf Grund mangelnder Pflege. 1,2 Millionen Menschen arbeiten laut Deutschem Pflegeverband als Pfleger. Die Zahl der angehäuften Überstunden in diesem Bereich wird auf neun Millionen geschätzt.

Rund 65 Prozent aller Pflegeheimbewohner sind auch psychisch krank. Sie brauchen deshalb auch meist mehr Pflege. Das Pflegepersonal arbeitet aber bereits bis zum Rande. Alles muss nur noch im Eiltempo ablaufen, das Gespräch mit den Patienten bleibt auf der Strecke.

Und wenn es medizinisch nicht nötig ist, wird schon mal überlegt, ob ein Patient zwei oder drei Mal am Tag gewaschen wird. Stattdessen aber warnt die Ärztekammer davor, im Zusammenhang mit den festgestellten Mängeln in Altenheimen von einem Notstand in der stationären Pflege zu sprechen.

Gleiches gilt für die andauernde Blockadehaltung des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Auch dieser ist eher von Richtlinien und mehr theoretischen Vorgaben als von praktischer Erfahrung geprägt.

Aussagen wie die des ehemaligen Ärztekammer-Präsidenten Weisner, der nicht davor zurückschreckt, Aussagen zu treffen wie „Es ist wenig hilfreich, wenn jeder Verdacht auf Pflegemängel öffentlich wird“, gehen schon auf Kosten der Menschenwürde.

Nicht nur „Schwarze Schafe“

So auch in einem Heim in Kiel. Die Ärztekammer: „Sicher sind die baulichen Zustande schlecht. Die Pflege allerdings sei gut“. Nur dass die Pflegebedürftigen sich in muffigen, feuchten Wänden aufhalten müssen und der Zustand für alte und kranke Menschen mehr als miserabel ist, das wird hingenommen.

Hauptsache die Pflege stimmt. Dass Pflege und Unterkunft aber eine Einheit bilden, davon haben die Herren des hypokratischen Eides noch wenig davon gehört.

Was viele Verantwortliche übersehen: Es geht um mehr als nur um „schwarze Schafe“. Wenn bei Stichproben in Pflegeheimen und bei ambulanten Diensten herauskommt, dass ein Qualitätsmanagement die absolute Ausnahme darstellt, dann muss nach den Ursachen gefragt werden.

Denn diese sind sehr vielschichtig. Zum einen gibt es in Deutschland immer mehr alte und pflegebedürftige Menschen. Im Jahre 2021 werden es bereits drei Millionen sein, ein Drittel mehr als heute.

Noch verfügen die Pflegekassen über Rücklagen, doch der Abbau der Polster hat schon begonnen. Nach dem Sozialversicherungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr war der Bund gefordert, bis Ende 2004 Familien bei den Pflegebeiträgen zu entlasten.

Geschehen ist nichts. Angesichts knapper Budgets sparen Pflege-Einrichtungen beim Fachpersonal und stopfen die Löcher mit Hilfskräften. Kein Wunder, dass viel zu wenig junge Menschen in die Pflegeberufe gehen – obwohl es sich um eine bereichernde Aufgabe in einem echten „Zukunftsmarkt“ handelt.

 

Zurück zu den Erläuterungen über Pflegefehler »

Zu den Erläuterungen über Ausbildungsplätze in der Altenpflege »